Page 60 - Volkswohl Fürth - 100 Jahre
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Bauen unter geänderten Vorzeichen

                                                                                Der Wohnungsbau gehörte nicht zu den
                                                                             politischen Bereichen, dem die Nationalsozia-
                                                                             listen ihre besondere Aufmerksamkeit widme-
                                                                             ten. Dementsprechend fehlte sowohl ein ein-
                                                                             heitliches und verbindliches Konzept zu die-
                                                                             sem Thema als auch eine konkrete personelle
                                                                             Zuständigkeit. Das Feld blieb einzelnen Beam-
                                                                             ten oder Funktionären überlassen, die sich in
                                                                             teilweise höchst unterschiedlichen Sichtweisen
                                                                             mit der Angelegenheit beschäftigten. Einige all-
                                                                             gemeine Tendenzen lassen sich gleichwohl aus-
                                                                             machen.
                                                                                Bei der öffentlichen Förderung des Woh-
                                                                             nungsbaus kam es mit Beginn der NS-Herr-
                                                                             schaft zu deutlichen Akzentverschiebungen,
                                                                             die aber zum Teil bereits in der Endphase der
                  Im Geschäftsbericht   kommende »Gewitterstimmung« 7  im Keim  Weimarer Republik angelegt waren, wie die
                  1934 warb Volkswohl   erstickte. In den nächsten Monaten schlossen  Förderung ganz bestimmter Wohnungsbaupro-
                  mit »Werdet Mitglied  sich noch Satzungsänderungen im Sinne des  jekte oder die weitgehende Einschränkung des
                  der NS-Volkswohlfahrt«  nationalsozialistischen Gedankenguts an, etwa  Handlungsspielraums der Kommunen bei der
                                                                       8
                  und betrieb antisemiti-  dass Mitglieder »arischer Abstammung« zu  Wohnraumfinanzierung. Ein ungewolltes Erbe
                  sche Propaganda mit  sein hätten.                          der Republik stellte darüber hinaus der längst
                  dem Spruch »Die Juden  Im Gegensatz zur Baugenossenschaft  nicht behobene Mangel an Wohnungen dar,
                                      Volkswohl, die ihren Namen behielt, erfolgte  insbesondere fehlten nach wie vor solche für
                  sind unser Unglück«.
                                      im Fall der Kriegsbeschädigten die Umbenen-  Arbeiter und Geringverdiener zu bezahlbaren
                                      nung in »Baugenossenschaft des nationalsozia-  Mieten.
                                      listischen Reichsverbandes deutscher Kriegs-  Generell ist für die Wohnungsbaupolitik
                                      opfer, Ortsgruppe Fürth e.G.m.b.H.« Alle Bau-  während der Zeit des Nationalsozialismus
                                      genossenschaften in Bayern waren fortan in  kennzeichnend, dass die Förderung durch
                                      den Zentralverband bayerischer gemeinnützi-  öffentliche Mittel erheblich reduziert und der
                                      ger Wohnungsunternehmen e.V. in München  Wohnungsbau wieder verstärkt dem Privatka-
                                      eingegliedert. Für Volkswohl endete damit die  pital überlassen wurde. Aus diesem Grund war
                                      bisherige Zugehörigkeit zu einem entsprechen-  auch keinesfalls an eine Wiederbelebung der
                                      den christlichen Verband.              seit 1931 stark eingeschränkten Subventionie-
                                                                                                              59
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